al-Samidoun

Kommentare und Berichte zu Politik, Religion und Kultur mit Fokus auf den Nahen Osten.

Mittwoch, 26. Januar 2011

„Ummasozialismus“ und "Partyzionisten"

Sie grölen auf ihren Demonstrationen zynische Parolen, wie „Palästina, knie nieder! Die Siedler kommen wieder!“ oder „Wir tragen Gucci. Wir tragen Prada. Tod der Intifada!“ Aber nicht nur „bedingungslose Solidarität mit Israel“, westlicher Chauvinismus, eine ausgeprägte Upper-Class-Arroganz gegenüber den schlecht Gekleideten ‚da unten’ und eine schaurige Freude am Tanz auf den Gräbern der ausgemachten Feinde – Friedensaktivisten, Kapitalismuskritiker, vor allem von ihnen als „Barbaren“ titulierte Bewohner des Orients – sind signifikante Merkmale der sogenannten Antideutschen.
Damit sei kurz auf einen interessanten Artikel in der neuen Ausgabe von Der Semit hingewiesen, den es auch online zu lesen gibt.


Apropos Jungle World...
...da liest man in der aktuellen Ausgabe:
Vor drei Wochen noch hat kaum jemand in Europa überhaupt gewusst, wer eigentlich Tunesien mit harter Hand regiert.
Dabei lässt die Zeitung keinerlei Selbstkritik anklingen. Ja, warum ist es denn eigentlich gerade auch unter den angeblich Linken so unbekannt gewesen, wer die Tunesier unterdrückte? Kann es sein, dass man lieber seine ganze Konzentration auf den Iran richtete, weil dieser eine Bedrohung für Israel ist? Kann es sein, dass die Unterdrückung von "Orientalen" ziemlich egal ist, so lange Israel davon nicht irgendwie betroffen ist? Woher kommt die Konzentration auf den Iran, wo doch in vielen arabischen Ländern genau so unterdrückt wird?

Für die Jungle World übrigens, und damit stehen sie wieder mit den amerikanischen Neocons in einer Reihe, gilt der Sturz Saddams als eigentlicher Auslöser für die Demokratiebestrebungen im Nahen Osten.
Natürlich sind sie gezwungen dies nun zu sagen. Sie haben damals vehement den Kriegseinsatz herbeigesehnt. Und dann folgten Tod und Chaos.
Die Bevölkerungen der arabischen Länder waren immer strikt gegen den Krieg, so auch in Tunesien und Ägypten. Wenn überhaupt, dann hat der US-Feldzug bewiesen, dass keinerlei Hilfe zur Demokratisierung der arabischen Staaten von den USA zu erwarten ist. Die USA haben weiterhin die Tyrannen unterstützt und sich nicht eine Sekunde darum geschert, dass ihre besten Verbündeten in der arabischen Welt zugleich die erbarmungslosesten Unterdrücker sind.

Kurz gesagt, die Proteste sind dem Blatt doch recht sympathisch (vermutlich weil es bis dahin noch nicht die USA- und Israel-feindlichen Rufe der Demonstranten vernommen hatte).
Denn es sind eben nicht mehr die bärtigen Muslimbrüder, die an der Spitze des Protestes stehen und Israel-Fahnen verbrennen, sondern meist recht jugendliche Demonstranten (überall in der Region liegt der Altersdurchschnitt unter 25 Jahren), die sich im Auftreten und Aussehen kaum von Demonstranten in Athen oder Madrid unterscheiden.
Man kann nur munkeln, dass die Demonstranten die volle Unterstützung des Blattes erhielten, wenn sie "im Auftreten und Aussehen" kaum von Demonstranten in Freiburg oder Bottrop zu unterscheiden wären.

Ganz davon abgesehen war es immer ein Werkzeug der Medien Aufstände in der arabischen Welt als islamistisch und reaktionär darzustellen.
Ich erinner mich spontan an die Berichte des arabischsprachigen US-Propagandasenders Radio Sawa, der mit folgendem Bild....


...Demonstrationen von hauptsächlich jungen, linken Libanesen gegen die ägyptische Sperrmauer am Gazastreifen, auf der Nachrichtenseite präsentierte. In Wirklichkeit sah alles so aus:


Keine Muslimbrüder, keine "Hamasflaggen", dafür jede Menge linke Jugendliche mit Che-Flaggen und Bannern diverser linker und säkularer Organisationen.

Der Jungle World kann ich eines versichern: Es sind eben nicht nur die Islamisten der arabischen Welt, die gegen die israelische Politik sind. Die Ablehnung der israelischen Politik zieht sich durch alle Klassen und Schichten. Mit am stärksten ist sie meiner Meinung nach im linken, säkularen Spektrum.

1 Kommentar:

  1. Ja, die PLO, die PFLP und ihre Vorgänger/Partnerorganisationen sind keinen Deut weniger antisemitisch und nationalistisch, als ihre religiösen Brüder. Es waren hauptsächlich säkulare Terroristen, die mit Selbstmordattentaten auf Busse, Kaffees, Diskotheken auffielen, wo Zivilisten direkt! als Ziel angegriffen wurden. Auch Entebbe ist ein gutes Beispiel.

    Die Terrorstrukturen mit der europäischen Linken waren unauflösbar verflochten, weil die Ideologie die gleiche war. Zwar spielte der Islam damals noch keine große Rolle in diesen Strukturen, der panarabische Nationalismus und der Antisemitismus beider Seiten füllten die Lücke problemlos. Heute, nach dem Niedergang der säkularen Terroristen haben eben die religiösen Terroristen die Lücke geschlossen und bringen eben diese Versatzstücke Antikapitalismus, Antisemitismus und Nationalismus in den Umma-Sozialismus ein, der daraus resultiert.

    Eine Kritik der politischen Ökonomie der arabischen (und des persischen) Staaten findet und fand dagegen nicht statt.

    Ich möchte zB. das Olympiaattentat noch hinzufügen, dass die RAF als „antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch“ bezeichnete.

    Ebenso erinnern ich daran, dass Neonazis und westliche Linksextremisten zusammen in PLO-Lagern trainiert haben und Unterschlupf fanden.

    Im Fall “RZ” gab es (zwar ziemlich spät, erst als sie selber Opfer ihrer arabischen Verbündeten wurde) eine recht gute Erklärung:
    http://www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn04.htm

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