al-Samidoun

Kommentare und Berichte zu Politik, Religion und Kultur mit Fokus auf den Nahen Osten.

Dienstag, 11. Januar 2011

Tunesien: Die Unruhen dauern an

Das Image des "Urlaubsparadieses" Tunesien scheint in den letzten Tagen, nach Wochen gewaltsamer Unruhen auch in den USA und Europa Schaden zu nehmen. Nach langer, medialer Stille berichten nun auch die Zeitungen hierzulande über die Vorkommnisse.
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Noch immer toben die Proteste gegen die autokratische Regierung von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali, der sich vor über 20 Jahren an die Macht putschte und keine Anstalten macht abzutreten. Die genaue Anzahl der Menschen, die bei den Protesten bisher ums Leben kamen ist unklar. Die Zahlen variieren je nach Quelle, wobei westliche Medien meist die von der Regierung bestätigten, niedrigeren Zahlen nennen.

Doch nicht nur Tunesien ist betroffen, auch in Algerien geht die Bevölkerung auf die Straße um gegen die dortigen Zustände zu protestieren. Im Nachbarland sind es vor allem die enorm gestiegenen Lebenserhaltungskosten die die Menschen auf die Straßen und zum Protest in die Viertel der Reichen treiben.

Orte der Proteste


Hohe Chancen- und Arbeitslosigkeit unter den jungen Tunesiern

Der unmittelbare Auslöser für die Proteste in über einem Dutzend tunesischer Städte war so grausam wie symbolträchtig.
Vor einem Regierungsgebäude der Stadt Sidi Bouzid zündete sich Mohammed Bouazizi (26) im Dezember 2010 aus Protest gegen seine Behandlung durch das tunesische Regime selbst an und verstarb schließlich am 4. Januar an seinen schweren Verletzungen.
Der arbeitslose Universitätsabsolvent hatte versucht sich mit dem Handel von Gemüse durchzuschlagen, bis die Polizei aufgrund der fehlenden Lizenz seine Waren und den Gemüsekarren beschlagnahmte. Außerdem sei Bouazizi von den Beamten geschlagen und verspottet worden.

Bald nach Bekanntwerden der Geschehnisse füllten sich die Straßen mit Demonstranten, oft Menschen denen es in ihrem jungen Leben ähnlich ergangen ist. Denn vor allem unter Akademikern ist die Arbeitslosenquote erschreckend hoch. Während das Land als wohlhabendes Urlaubsparadies porträtiert wird, leiden die jungen Tunesier unter der Chancenlosigkeit und den durch die Regierung auferlegten Restriktionen in der Politik.
Zusammen mit Gewerkschaftern und Oppositionspolitikern protestieren sie nun gegen die extreme Arbeitslosigkeit und gegen das tunesische System, welches nur in der tunesischen Staatspresse und in westlichen Medien als offen, wohlhabend und gemäßigt gelobt wird.

Die Mo Ibrahim Foundation setzte Tunesien für 2010 auf den achten Platz der "worthiest and perhaps happiest countries" Afrikas. Platz acht von 53 für eine Diktatur, in der sich junge Menschen aus Protest selbst verbrennen.


Die Rolle des Internets

Den Streiks und Demonstrationen haben sich inzwischen auch tausende Anwälte angeschlossen, die sich vor allem gegen die ausufernde Polizeigewalt aussprechen.
Auf Youtubekanälen wie Freedom4Tunisia werden ständig neue Videos hochgeladen, auf denen die Ausschreitungen und die brutalen Reaktionen der Staatsmacht dokumentiert sind. Junge Tunesier präsentierten in Videos neben scharfer Munition, Tränengaskartuschen mit angeblich hebräischem Aufdruck. Ob israelische Produktion oder nicht dürfte die betroffenen Demonstranten jedoch vorerst weniger interessieren. Interessanter ist die Verwendung des Internets um der Welt zu zeigen, was im Lande vor sich geht.

Junge Tunesier präsentieren Hülsen scharfer Munition, die auf sie abgefeuert wurde.

Etwa vier Millionen Tunesier verfügen über einen Internetanschluss. Ganze 1,8 Mio. haben ein Konto bei Facebook. Ähnlich der Grünen Protestbewegung im Iran verstehen es auch die jungen Tunesier das Internet für sich zu nutzen, so weit es ihnen überhaupt möglich ist angesichts der Einschränkungen der Regierung.
Diese kontrolliert alle zwölf Internet-Provider des Landes und sperrt rigoros jeden Zugang zu Oppositions- und kritischen Menschenrechtsseiten. Um den Zugang zu blockieren verwendet das tunesische Regime in den USA programmierte Software von McAfee.
Als Wikileaks im November die berüchtigten Botschaftsdepeschen veröffentlichte, da sperrte die Regierung konsequent den Zugang zu den Enthüllungen, was widerum Angriffe von Wikileaks-Sympathisanten gegen offizielle Regierungsseiten heraufbeschwor.
Nachdem die libanesische Zeitung al-Akhbar pikante Wikileaks-Cables über die tunesische Führung zugänglich machte, wurde die Homepage der Zeitung gehackt und war tagelang nicht zu erreichen.

Auch tunesische Blogger/Innen wie Leena Ben Mhenni haben immer wieder unter den Repressionen der Regierung zu leiden. Im Dezember 2009 beispielsweise, wurde die Bloggerin Fatma Riahi von den Behörden verhaftet und ihr Computer beschlagnahmt. 2005 wurde der regierungskritische Blogger Mohammed Abbou für seine Aktivitäten zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Doch das Schicksal tunesischer Blogger scheint im Westen weniger wichtig zu sein, als das ihrer iranischen Kollegen.


Reaktionen auf die Proteste

Der Präsident Tunesiens hat mittlerweile verlauten lassen, dass hinter den Protesten eine "terroristische Verschwörung" stecke. Mit dem Verweis auf Terror, und bevorzugt seine islamistische Spielart konnten arabische Despoten bisher auf die Unterstützung oder wenigstens die Sympathie der USA und Europas zählen. Und Tunesien galt gerade diesen Ländern immer als positives Beispiel für einen arabischen Staat. Trotz Diktatur, trotz Internetzensur wie im Iran und in China.
Deshalb weisen viele Nachrichtenseiten daraufhin, dass die Tourismusgebiete Tunesiens weiterhin sicher sind, da sie weiträumig von den Sicherheitskräften abgeschirmt werden.

Die saudische Staatspresse riet der tunesischen Regierung derweil allen Ernstes endlich mehr politische Beteiligung zuzulassen.
Die ägyptische Regierung wird sich vorsichtig zurückhalten. Dort waren die Menschen Ende vergangenen Jahres auf die Straßen gegangen, weil sie gegen die ägyptische Farce namens "Wahlen" protestierten. Auch dort gab es Tote und Verletzte, und auch deren Schicksal bekam nie die nötige Aufmerksamkeit, weil man im Westen klammheimlich ganz glücklich über den Status Quo ist.

Mit der Situation der Tunesier im Hinterkopf kann man jedoch nur hoffen, dass sie ihre Forderungen durchsetzen können. Ob sie dabei Unterstützung aus dem Ausland bekommen ist fraglich. Ernsthafter Druck auf die Regierung durch westliche Staaten ist eher unwahrscheinlich, von Sanktionen wie gegen den Iran ganz zu schweigen.
Wie man es auch dreht: Demokratie und Freiheit sollten kein Privileg der Amerikaner oder Europäer sein.

2 Kommentare:

  1. Unsere Landsleute müssen einfach durchhalten! Ich hoffe von ganzem Herzen das, dass Mafia-Regime von Ben Ali gestürzt wird. Auch wenn es weitere Opfer bedeutet, sie dürfen nicht aufhören!
    Nur so hätten Sie eine Chance und wären auch ein grosses Vorbild für viele weitere arabischen Staaten.
    Ich glaube ganz fest daran, das Sie es schaffen!!

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  2. Ben Ali hat die Regierung aufgelöst und Neuwahlen angekündigt!
    Was die Tunesier geschafft haben ist jetzt schon ein leuchtendes Vorbild für die Jugend anderer arabischer Länder.

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