al-Samidoun

Kommentare und Berichte zu Politik, Religion und Kultur mit Fokus auf den Nahen Osten.

Sonntag, 23. Januar 2011

Arabische Demokratie unerwünscht

Seitdem man nicht mehr über ihn schweigen konnte wurde viel über den tunesischen Umsturz geschrieben. Dabei begegnen die deutschen Medien, und dies sei eingestanden, dem Aufbegehren der Tunesier mit erstaunlicher Sympathie.
Doch der Sturz des tunesischen Diktators ist zwar ein Sieg der arabischen Bevölkerungen, jedoch kein Sieg für die Politik der USA, Frankreichs, Israels und der anderen westlichen Staaten.

Der Westen braucht die arabischen Diktaturen
Wenn der Sprecher der kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens Hamma Hammami der jungen Welt gegenüber mitteilt, dass den Tunesiern internationale Solidarität und Unterstützung vor allem von den Bevölkerungen Algeriens, Marokkos, Ägyptens und Palästinas entgegenkam, dann kann man spüren wo die Fronten verlaufen. Man ahnt, wer auf Seiten der Unterdrücker, und wer auf Seiten der Unterdrückten steht. Eine Ahnung die sich verstärkt, wenn man sich das Angebot der französischen Außenministerin in Erinnerung ruft, dem tunesischen Ex-Diktator Spezialkräfte zur Eindämmung der Ausschreitungen zu schicken.
Auch wenn Schwarz-Weiß-Denken oft gefährlich und kontraproduktiv ist, es zeichnen sich zwei Achsen ab. Diese Parteinahme wird sich in den nächsten Wochen und Monaten auch in den deutschen Medien niederschlagen.

Robert D. Kaplan schreibt nun in der meist anti-arabischen New York Times, dass man vorsichtig sein solle, sich Demokratie für die arabische Welt zu wünschen.
Schließlich seien es vor allem die arabischen Despoten gewesen, die Frieden mit Israel geschlossen hätten. (Entgegen dem Willen der Bevölkerung, und zwar der ganzen, ob muslimisch, christlich oder säkular!)
Another thing to keep in mind: in terms of American interests and regional peace, there is plenty of peril in democracy. It was not democrats, but Arab autocrats, Anwar Sadat of Egypt and King Hussein of Jordan, who made peace with Israel. An autocrat firmly in charge can make concessions more easily than can a weak, elected leader — just witness the fragility of Mahmoud Abbas’s West Bank government. And it was democracy that brought the extremists of Hamas to power in Gaza. In fact, do we really want a relatively enlightened leader like King Abdullah in Jordan undermined by widespread street demonstrations? We should be careful what we wish for in the Middle East.

Bei aller Vorsicht vor Verschwörungstheorien aber diese Tatsache ist auch den Regierungen in Washington, Tel Aviv, Paris und Berlin wohl bewusst. Daher wäre es naiv zu denken, dort würde man keine Anstrengungen unternehmen, die verbündeten Diktatoren zu stützen. Der Angry Arab schreibt deshalb zurecht:
Do you see why Arabs blame (rightly) Israel for many of the region's problems? They know that it is--in addition to its occupation and war crimes--an extension of the tyrannical order there.
Dass die Araber dies durchaus wahrnehmen spiegelt sich auch in ihren Protestparolen, vom Jemen bis nach Tunesien wieder, in denen die USA, europäische Staaten und Israel als Verbündete ihrer verhassten Regierungen enttarnt werden.


Die Angst vor den arabischen Interessen
Aus der angeblichen Angst, Islamisten könnten demokratische Wahlen gewinnen und den Interessen des Westens schaden, unterstützt dieser die Diktaturen in Nahost. Nun ist es jedoch kein Geheimnis, dass der Westen auch mit Islamisten gut zurecht kam, so lange sie seinen Zielen nutzten oder ihnen wenigstens nicht im Wege standen. Eine stille, langjährige Kooperation, die sich vor allem in den Fußnoten der Geschichte zeigt.
So erklärte der saudische Großmufti (und Kinderschreck) Al Sheikh Pro-Palästinensische-Kundgebungen angesichts des Gazakrieges 2008/09 für "kompletten Unsinn". Nicht anders die Islamisten der Al-Azhar Universität in Kairo, die den Widerstand gegen die ägyptische Abriegelung des Gazastreifens als gegen die Scharia verstoßend brandmarkten.
Nur zwei von unzähligen Beispielen wie Islamisten und arabische Diktaturen gegen die palästinensischen Interessen arbeiten.

Der Westen hat, zumindest in dieser Hinsicht, keine Angst vor arabischen Islamisten. Es ist die Angst vor den Interessen der arabischen Bevölkerung, egal welcher Weltanschauung oder Ideologie, die den Westen die Diktaturen in Nahost unterstützen lässt.
Heute fürchtet man sich angeblich vor Islamisten aber davor war es die Angst vor den Nationalisten und Panarabisten. Und davor war es die Angst vor den Kommunisten.
All diese Titel sind nur variable Platzhalter hinter denen sich die tatsächliche Angst des Westens verbirgt, 300 Millionen Araber könnten plötzlich ihre eigenen Interessen vertreten.


Don't single out Israel!
So lange es keine Demokratie in den arabischen Ländern gibt, so lange wird sich auch die Lage der Palästinenser nicht verbessern. So lange die arabischen Despoten die Unterstützung des Westens brauchen um ihre Bevölkerungen in Schach zu halten, so lange werden sie auch die Palästinenser im Stich lassen.
Ein Sieg in Tunesien, ist auch ein Sieg für Palästina und den Rest der arabischen Welt. Nicht zuletzt deswegen lässt die vom Westen leidenschaftlich geliebte Fayyad-Regierung pro-tunesische Kundgebungen beenden. Genau wie die Mubarak-Administration, die Saleh-Regierung und das saudische Königshaus fürchtet sie den Machtverlust.

"Don't single out Israel" das darf man bei der Beschäftigung mit dem Weltgeschehen und insbesondere im Hinblick auf die Ereignisse im Nahen Osten nicht vergessen. Folter in einem israelischen Knast ist nicht schlimmer als Folter in einem ägyptischen oder marokkanischen. Es ist kein Widerspruch die arabischen Regierungen zu kritisieren, wenn man sich für die Sache der Palästinenser und Araber ausspricht.
Wer die israelische Politik den Arabern gegenüber anprangert, sollte auch die Vorgehensweisen der arabischen Regierungen gegen ihre eigenen Bevölkerungen nicht unkritisiert lassen. Alles andere wirkt unglaubwürdig.

Noam Chomsky nannte Kaplan einmal einen "ultra-right-wing jingoist", also einen ultra-rechten Hurrapatrioten, aber auch von weniger rechten Personen sind solch demokratiefeindliche Aussagen zu vernehmen. So gruselte sich vor einigen Wochen auch Zeit-Journalist Jörg Lau vor einer ägyptischen Demokratie.
Natürlich ist es angenehmer, wenn man keine Rücksicht nehmen muss auf die Interessen anderer Bevölkerungen, und hier steht die arabische nur exemplarisch für andere, ob in Afrika oder Lateinamerika. Aber es ist (neo-)kolonialistisches Denken, wenn man die Diktatoren dieser Bevölkerungen unterstützt und gutheißt, nur um die eigenen Interessen rigoros durchzusetzen.

Oder um dieses Denken noch zu verallgemeinern:
Die Hose bei KiK mag ja GUT & GÜNSTIG sein, aber sie ist es nur deshalb, weil "unsere" Interessen faktisch über denen der Textilarbeiter aus Bangladesh stehen. Lieber ist es uns, dass wir eine günstige Hose kaufen können, als das ein Bangladeshi mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen bekommt.
Für unseren Geldbeutel mag dies angenehm sein, aber ist es das auch für unser Gewissen?

3 Kommentare:

  1. Ob jetzt die Demokratisierung der arabischen/islamischen Staaten und Gesellschaften im westlichen Interesse liegt oder nicht, weiss ich nicht. Ich glaube allerdings nicht, dass dieser Prozess aktiv behindert wird.
    Allerdings ist dieses doch eher ein Problem der arabischen Gesellschaften, in das sich der "Westen" doch kaum einschalten kann (Die Bush-Administration hat dieses ja versucht).
    Das Verhältnis zu Israel müssen die arabischen Staaten auch selber regeln. Auf dem Gebiet gibt es ja viele Möglichkeiten, wobei die militärisch-konfrontativen für die Araber bisher nicht so erfolgreich waren.

    AntwortenLöschen
  2. Ganz offensichtlich verlangen viele Araber nun gerade mehr Demokratie. Warum sollten Araber keine Teilhabe am politischen System wollen?

    Aktiv behindert wird der Prozess durch die eisenharte Unterstützung der despotischen Regierungen in Saudi-Arabien, Ägypten oder bis vor kurzem Tunesien. Dort hatte Frankreich angeboten bei der Bekämpfung der Unruhen zu helfen.
    Ägypten bekommt 2 Milliarden Dollar jährlich von der US-Regierung. Ein winziger Bruchteil davon ist für Demokratisierungszwecke, der Rest fürs Militär und die Kräfte, die gerade die Aufstände niederschlagen.

    Selbst nach dem schrecklichen 11. September sprach Bush von einer "ewigen Freundschaft" die die USA mit Saudi-Arabien verbinde, obwohl ein Großteil der Terroristen aus dem Land stammten und noch heute die meiste Unterstützung an Al-Qaida aus Saudi-Arabien kommt.

    Die Bush-Administration hat sich im Irak mit Bomben und Panzern "eingeschaltet". Was will man da erwarten? Dass sie von den Arabern mit Freudentränen empfangen werden?

    Es ist aber tatsächlich eine interessante Frage ob Bush mehr Druck zur Demokratie ausgeübt hat als Obama. Ich glaube das könnte durchaus kontrovers diskutiert werden.

    AntwortenLöschen
  3. Ob jetzt der "Westen" irgendwo auf der Welt mehr Druck auf Demokratie oder gar Menschenrechte ausüben sollte, kann man durchaus diskutieren. Ob dieses klappen würde? Ich glaube es nicht. Wem die EU oder die USA in dieser Hinsicht zu nahe rückt, kann sich nach China wenden. Es gab in den 90er jahren unter der Clinton-Administration auch maL einen, von besten Absichten getragenen, aber an der regionalen Wirklichkeiten gescheiterten Somalia-Einsatz der UN.
    Fakt ist auch, so bald er es versucht kriegt er (der "Westen") meistens auch einen über die Rübe gezogen. Entweder mischt er sich zu viel und zu unfreundlcih ein (z.B. Iran) oder er hat die Entwicklung nicht genug gefördert (Tunesien; Wo waren eigentlcih die ganzen Tunesien-Experten, die jetzt die europäische Tunesien-Politik kritisieren, im Dezember?).
    Der "Westen" hat immer, egal was "er" tut die Arschkarte.
    Letztendlich sollte man (Der "Westen") sich bei der Entwicklung von politischen Sytemen in anderen Teilen der WElt raushalten.
    Zu G. W. Bush noch eines. Der Mann hat auch immer gesagt, dass er nicht den "Islam" für die Anschläge am 11. SEptember veranrwortlich macht.

    AntwortenLöschen