al-Samidoun

Kommentare und Berichte zu Politik, Religion und Kultur mit Fokus auf den Nahen Osten.

Samstag, 5. Februar 2011

Antideutsche Experten: Syrien "das brutalste arabische Regime"

Es ist ein Genuss "antideutschen" Nahost-Experten dabei zuzusehen, wie sie immer wieder gegen die Plexiglasscheiben ihres beengten Weltbildes dotzen und nicht so recht wissen, wie sie aktuelle Geschehnisse einordnen sollen.

Spätestens mit dem Beginn der Proteste in Ägypten hatte ich mich recht schnell gefragt, wie wohl die antideutsche Fraktion auf die Ereignisse reagieren würde. Schließlich, und das wurde in den letzten Tagen ständig heruntergebetet, gehen dort keine Islamisten, sondern ganz normale Leute auf die Straße und fordern keinen Gottesstaat, sondern Demokratie. Sogar Leute, die fast so aussehen wie wir (gelle Jungle World?).
Auf der anderen Seite ist das Mubarak-Regime ein Verbündeter Israels (wie nahezu alle anderen arabischen Diktaturen) und hat nie damit gezögert die gewünschte Politik durchzusetzen (Abriegelung des Gazastreifens und der Grenze zu Ägypten, Unterdrückung "gefährlicher" Palästinasolidarität in Ägypten, etc...).

Also wie damit umgehen? Dafür oder dagegen?
Kurz gesagt: ganz so schwer ist es dann doch nicht für unsere deutschen "Linken". Feind bleibt zumeist Feind, und Freund bleibt zumindest so lange Freund, bis er von demokratischen Kräften aus dem Land gejagt wird und es beinahe obszön wäre ihn weiter zu unterstützen.

Jörn Schulz weiß daher durchaus Interessantes zu berichten in der neuen Jungle World. Entzückt erzählt er von den Aufständen in anderen arabischen Ländern:
Protestiert wird auch im Sudan, im Jemen und sogar in Syrien, unter dem brutalsten arabischen Regime.
Und da schnappt die Falle zu! Die typisch antideutschen Denkmüsterchen können nicht verlassen werden. Syrien als "brutalstes arabisches Regime".

Seltsamerweise hat das brutalste arabische Regime wesentlich mehr Rückhalt in der Bevölkerung als die, laut Jungle World, weniger brutalen Regimes in Saudi-Arabien, Ägypten, Jemen, und so weiter...
Das Konterfei al-Assads ziert zahllose Haushalte, Autos und Gebäudefassaden. Und auch wenn Broder vorgestern Syrien als "islamistischen Staat" bezeichnete, spielt Religion eine eher unbedeutende Rolle. Allein schon weil die Führung einer religiösen Minderheit angehört und es sich kaum erlauben könnte, die islamistischen Kräfte so zu fördern, wie es die ägyptische Führerbande tat.

Nochmal: Ich will das syrische Regime keines Falls loben, es sollte auch gestürzt werden, aber es als "brutaler" als SA, Ägypten oder andere arabische Autokratien zu bezeichnen macht sich an der einzigen Tatsache fest, dass Syrien vergleichsweise israelkritisch ist. An nichts anderem.

Ich weiß ja nicht ob es bis zur Jungle World vorgedrungen ist: In SA, dem Königreich des Horros, wird Menschen noch der Schädel vom Kopf geschlagen, wenn sie Verbrechen und "Verbrechen" begehen. Frauen nehmen am gesellschaftlichen Leben kaum teil und dürfen nicht einmal Auto fahren. SA hat eine Religionspolizei, die rigoros gegen "unreligiöse" Handlungen vorgeht und Übeltäter mit dutzenden, manchmal hunderten Peitschenhieben bestraft oder einfach an Ort un Stelle verprügelt.
Liebe Jungle World, in Syrien werdet ihr DAS nicht finden. Keine Enthauptungen, keine Auspeitschungen, keine Religionspolizei. Syrien hat eine christliche Minderheit, die ihren Glauben leben darf. Dort sind keine Kirchen und Bibeln verboten. Das erkennen auch die syrischen Christen an.
Aber das Königreich des Horrors ist ganz okay, weil nicht gegen Israel. Stimmts Jörn?
Schlimm ist es laut Jungle World vor allem dort, wo man nicht mit Israel kooperiert. Deshalb wurde immer ausgiebig über die Situation im Iran berichtet und alle anderen Schreckensherrschaften großzügig vergessen. Oder im Klartext: so lange Israel nicht bedroht ist, ist Diktatur und Unterdrückung okay.

Nebenbei: In Syrien ist keine Demonstration zustande gekommen. In Schulzens Liste fehlen dafür ein paar US-Verbündete wie Jordanien, Saudi-Arabien, wo es nach einer Protestkundgebung dutzende Verhaftungen gab oder Bahrain.

Apropos Kritik an der westlichen Politik.
Neben diversen Verschwörungstheorien gab es im Nahen Osten immer eine berechtigte Kritik an der westlichen Politik.
Und darauf kommt ihr JETZT? Schön dass du, liebe Junlge World, das nun zugeben kannst. Galt dir Kritik an der westlichen Nahost-Politik doch stets als antiimperialistische und damit antisemitische Hetze. Und jetzt plötzlich willst du heimlich, still und leise dein Fähnchen um ein paar Grad drehen?
Die Araber danken euch, für eure treue und selbstlose Unterstützung ihrer demokratischen Anliegen. So, wie sie Obama dankten, der just in dem Moment aufhörte den Diktator Ben Ali zu unterstützen, als er aus Tunesien geflohen war.
Danke für nichts!

Aber vielleicht gibt es noch einen Hauch Hoffnung für unsere antideutschen Spaßmacher:
Bedauerlich ist jedoch, dass die israelische Regierung sich so eifrig für Mubarak engagiert. Denn die Demokratisierung ist die beste Chance für den Frieden (siehe Interview Seite 6). Überdies wurden die Islamisten von den Autokraten gestärkt, teils direkt, wie in den siebziger Jahre in Ägypten von Anwar al-Sadat, teils indirekt durch den nicht zuletzt von Mubarak protegierten reaktionären Staatsislam, der sich kaum vom Fundamentalismus unterscheidet.
Na, das ist ja schon fast antisemitisch und in jedem Fall antizionistisch, liebe Jungle World. Was kommt bitte als nächstes? Sympathien für islamofaschistische Palästinenserterroristen? Dass, ihr euch damit mal nicht zu weit aus dem Fenster eurer kleinen Studenten-WG gelehnt habt.

___

Nachtrag 11.02.2011:
Antwort von Jörn Schulz
und meine Reaktion.

7 Kommentare:

  1. Im Ernst: Hattest Du Dich wirklich gefragt, was besagte (Anti)Deutsche zu sagen hätten? "Antifa heißt Luftangriff"... Noch Fragen?

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  2. Im Prinzip hast du Recht, klar. Wobei man auch sagen muss, dass es da durchaus Abstufungen gibt. Die Jungle World ist sicher nicht vom (menschenverachtenden) Kaliber der Bahamas. Ich kann ja sogar manche Anliegen der Antideutschen vollkommen nachvollziehen. Dass sie auf den Antisemitismus von Links und auf die gefährliche Verbrüderung mit Hamas und Co. hingewiesen haben, zum Beispiel.

    Um so mehr ärgert es mich aber, wenn sie dann genau das gleiche in grün machen, nur unter veränderten Vorzeichen. Es scheint irgendwie unmöglich zu sein, da einigermaßen einen Mittelweg zu gehen.

    (Das ist natürlich immer schwierig, auch für mich, aber bei Jungle World und Co. scheint man das nicht einmal zu versuchen.)

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  3. Ich sehe das ja ähnlich wie Du. Neulich habe ich im Deutschlandfunk in der Sendung "Zwischentöne" sehr andächtig den Ausführungen des früheren Grünen-Alphamännchens Thomas Ebermann gelauscht. Was er zur Bedeutung der Shoa und zur Sinnhaftigkeit antideutschen und antinationalen Handelns zumindest andeutete, hatte absolut Hand und Fuß, gerade, wenn man den geschichtlichen KOntext des Aufkommens ebendieser Strömung berücksichtigt.
    Dass er dann aber ausgerechnet "konkret" und "Jungle World" auch noch als führende Gegenmeinungsblätter auszuweisen versuchte, ging über sein berechtigtes Anliegen, zwei Medien, für die er so manchen Text verfasst hat, zu bewerben.
    Ich höre mir die Sendung mit Ebermann (vom 2.1.11) immer wieder gern an, z.B. im Auto über MP3. Wofür er steht, das ist nicht nur das sympathischere Bild der Grünen, sondern auch der Anspruch, dass deutsche Befindlichkeiten wichtiger sind, als Realitäten vor Ort.
    Ich habe Ebermann immer bewundert. Und über weite Strecken war er mir immer sehr sympathisch, gerade auch deswegen, weil er einen rationalistischen Antinationalismus verkörpert. Aber dennoch...

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  4. Gibts bestimmt als Podcast... muss ich mal laden. Danke für den Hinweis.

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  5. Jo, bei dradio.de, Abteilung Deutschlandfunk, Abteilung Sendungen von A-Z.
    Bist Du eigentlich auch bei Facebook vertreten?

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  6. Nein, bisher noch nicht. Werde das aber rasch nachholen und melde mich dann zurück. ;)

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  7. Freu mich schon... :-)

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