al-Samidoun

Kommentare und Berichte zu Politik, Religion und Kultur mit Fokus auf den Nahen Osten.

Dienstag, 15. Februar 2011

"Ja, lieber Mubarak, als Muslimbrüder."

Die Exil-Iranerin Fathiyeh Naghibzadeh gab vor ein paar Tagen der Berliner Zeitung ein etwas wirr anmutendes Interview. Und da die Dame von der Jungle World (hello again!) dazu fähig befunden wird sich als Gesprächspartnerin bei der Podiumsdiskussion "Freiheit auf Arabisch" zu beteiligen, will ich den obskuren Inhalt des Interviews einmal näher präsentieren.

Naghibzadeh ist wütend auf den Westen. Sie bezeichnet ihn als feige, weil er nicht genug Stellung beziehe zu den Protestbewegungen im Iran und den arabischen Ländern. So weit der Konsens. Allerdings scheint sie dabei die Bewegungen in den Regionen gleichzusetzen und das was sie vom Iran weiß, überträgt sie schlicht auf Ägypten und andere arabische Staaten. Das geht nicht wirklich gut.

Und weil Naghibzadeh brav bei ihren "anti"deutschen Kollegen gelernt hat, dass jedes US-kritische Denken unschicklich ist, zaubert sie sich einfach ein anderes westliches Feindbild daher. Europa.
Wütend schimpft sie auf europäische Konzerne, die angeblich die Waffen und Techniken liefern würden, mit denen die Menschen im Iran und in der arabischen Welt unterdrückt werden.
Das Schlimmste ist allerdings, dass europäische Konzerne die Waffentechnik liefern, mit der die Opposition in Ägypten wie im Iran unterdrückt wird: Mobilfunküberwachung, Internetsperren.
Wie perfide diese "europäischen Konzerne" dabei vorgehen beweist, dass sie auf die gelieferten Waffen dreist "Made in USA" drucken.
Spaß beiseite. Die Waffen wurden seit Jahrzehnten von den USA geliefert. Zwischen 2 und 1,3 Milliarden Dollar jährlich gingen seit Sadats Friedensschluss mit Israel allein an das ägyptische Militär. Die Technik zur Internetkontrolle kam ebenfalls aus den USA.
Natürlich sind auch gerade im Iran die Europäer an solchen (Waffen-)Geschäften beteiligt und beteiligt gewesen aber die Rolle der USA auszublenden und deren Politik reinzuwaschen ist ein reichlich billiger Versuch der alten Linie treu zu bleiben um bloß nicht in den schröcklichen Verdacht des Antiamerikanismus zu geraten.
Die Diktatoren von Tunesien über Ägypten bis nach Saudi-Arabien erfahren hauptsächlich Unterstützung aus den USA. Punkt.

Aber als antiamerikanisch will sie nicht gelten. Antiamerikanisch sind andere Leute, nämlich die Europäer denen sie "latenten Anti-Amerikanismus" unterstellt. Warum? Nun...
Die europäischen Medien berichten meist negativ über Mubarak. Der Grund ist klar: Es ist der latente Anti-Amerikanismus der Europäer.
Der Grund ist klar: Weil die Europäer den Ami hassen, berichten sie schlecht über den sonst grundanständigen Husni Mubarak. Weitere Gründe den Diktator zu kritisieren bieten sich nämlich eigentlich kaum, er ist schließlich kein Islamist. In Wirklichkeit haben sich die hiesigen Medien aber selten mit Ruhm bekleckert, wenn es darum ging Untaten des Sadat-Mubarak-Systems beim Namen zu nennen (diese Aufgabe haben daher oft Blogger übernommen). Mubarak war ja schließlich auf unserer Seite.

Für Fathiyeh Naghibzadeh heißt es deshalb im Zweifelsfall: lieber Mubarak als Risiko. Bei Mubarak weiß man schließlich was man hat. Und bevor man sich von einem islamistischen Diktator foltern lässt, lässt man sich lieber von einem "laizistischen" (das war Mubarak nie) Diktator durch Mord und Totschlag zurück auf die staatliche Linie bringen.
Wenn es die ägyptische Opposition nicht schafft, für sich eine kluge, laizistische Position zu finden, den Einfluss der Religion auf Staat und Politik so klein wie möglich zu halten, und sich von den Muslimbrüdern zu distanzieren, dann würde ich sagen: Ja, lieber Mubarak, als Muslimbrüder.
Das ist bitter - für mich als Iranerin, die der Revolution Erfolg wünscht, erst recht.
Ja, das ist bitter für Naghibzadeh, gerade als Iranerin.
Man sollte die Ägypter schön selbst darüber entscheiden lassen, welche Parteien sie wählen wollen. Das heißt vollständige Demokratie jetzt! Und keine zögerlichen, demokratischen Reförmchen die dafür sorgen sollen, dass die Ägypter bloß nicht selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen.
Ich halte rein gar nichts von der Muslimbruderschaft. Wenn sie sich aber in freien, demokratischen Wahlen durchsetzt, dann muss ich diesen Wunsch der Ägypter leider akzeptieren. Demokratie halt. Ich war auch nicht glücklich über schwarz-gelb.

Weil die arabischen und iranischen Demonstranten nicht in das vorurteilsbehaftete Bild der immer grimmigen, blutdurstigen und islamistischen Muslime passen, fragt die Berliner Zeitung hoffnungsvoll, ob man nicht vielleicht sogar gerade den "Untergang der islamischen Welt" erlebe?
So weit möchte Naghibzadeh aber nicht gehen, schon allein weil dann ein lang gehegtes Feindbild wegfallen würde. Dennoch:
Aber man muss sehen, dass im Nahen Osten eine völlig neue Generation von Bürgern entstanden ist - zu Recht spricht man von der "Facebook-Generation". Sie wollen eine offene Gesellschaft. Die Menschen auf der Straße haben gegen ihre Väter demonstriert. Sie haben die Slogans gegen Israel und Amerika nicht übernommen - sie haben es umgekehrt, und gegen Unterstützer des Regimes protestiert. Es wurden auch Parolen gegen die Hisbollah gerufen. Das war ein Affront.
Ja, die ägyptische Facebook-Generation aus Manshiyat Nasir mit Internetanschluss und Netbook im heimischen Pappkarton...

Richtig, in Ägypten gingen die Proteste zwar hauptsächlich von den jungen Menschen aus, was relativ nachvollziehbar ist bei einem Durchschnittsalter von knapp 24 Jahren, aber mit den jungen Menschen demonstrierten auch die alten. Der Erfolg der Ägypter und Tunesier resultiert gerade daraus, dass jung und alt, ja sogar reich und arm gemeinsam auf die Straße gehen.
Und während ihre Freunde von der Jungle World so langsam merken, dass die Ägypter nach wie vor ein Problem mit Israel haben (der Hass gegen Israel sei derzeit allgegenwärtig), lässt Naghibzadeh ihre geheimsten Wünsche von der Leine und erklärt, dass die Demonstranten keine Slogans gegen Israel, sondern gegen Feinde Israels wie die Hizbullah skandiert hätten.

Ganz nach dem Motto: Israel, bis zu ihrem bitteren Ende hast du mit unseren Unterdrückern geknuddelt aber hey, wir finden das nicht schlimm! Lass uns Freunde sein!

Im Iran mag Kritik an der libanesischen Hizbullah vielleicht der Fall gewesen sein, nicht in Ägypten oder Tunesien.
Slogans gegen die Politik der USA und Israels gibt es genug in der arabischen Protestbewegung. Sie mögen nicht im Zentrum der Proteste stehen aber mit der Kritik an Mubarak geht zwangsläufig eine Kritik an den Menschen einher, die das Sadat-Mubarak-System Jahrzehnte lang gestützt haben und das waren, da kann die Jungle World noch so maulen, auch die US-Regierung und die israelische.
Mubarak und Sulayman sah man immer wieder verschmitzt Händchen haltend mit führenden israelischen Politikern und Generälen aber niemals mit Menschen aus Gaza. Die Ägypter sympathisieren allerdings nicht mit israelischen Politikern, sondern mit den Opfern israelischer Politik ob in Khan Yunis, Jenin oder Tyros.

Oh je, Jungle World. Das sind deine Experten für Podiumsdiskussionen über die arabische Protestbewegung? Und dann auch noch Bellizisten wie Thomas von der Osten-Sacken der tatsächlich glaubt, Bush hätte mit dem Krieg gegen den Irak vor acht Jahren die Demokratie in das tausende Kilometer entfernte Tunesien gebombt. Da kann ich auch gleich den Plasberg anschalten und mir von Broder das Ohr mit "pfiffig-kontroversen" NS-Witzchen blutig kalauern lassen.
Nein, danke!

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