Auf der einen Seite haben wir den berüchtigten slowenischen Philosophen Slavoj Žižek, der unter der Überschrift Why fear the Arab revolutionary spirit? im Hinblick auf die Demokratiebewegungen in der arabischen Welt, die Doppelzüngigkeit des Westens beklagt und - ganz der Marxist - für die Stärkung der arabischen Linken eintritt.
In Tunesien seien genau zwei Gruppen von der Übergangsregierung ausgeschlossen gewesen, die Islamisten und die radikale Linke. Dass man dies im Westen bejubelte, da man dort beide Gruppen als ähnlich "extrem" und fundamentalistisch betrachtet stört Žižek, der darauf hinweist, wie sehr der Westen eigentlich die arabische Linke braucht, wenn er dem Islamismus etwas entgegensetzen will.
In order for the key liberal legacy to survive, liberals need the fraternal help of the radical left.Aber wie sieht es aus mit der arabischen Linken? Abgesehen von der Tatsache, dass auch auf vielen linken Parteien der arabischen Welt noch immer der Staub der zusammengebrochenen Sowjetrepublik liegt und ein großer Teil am Rande der Bedeutungslosigkeit herumdümpelt haben die Aufstände gezeigt, dass die linken Kräfte nicht tot sind. Trotz radikaler Unterdrückung, und hier mussten die Linken meist mehr erdulden als die islamistische Opposition, existiert sie noch. Ob in Form der tunesischen Al-Badil, der ägyptischen Tagammu' oder einfach undogmatischen, parteilosen, linken Jugendlichen, die statt Koran ein Che-Plakat in die Höhe halten.
Wovor sich Žižek fürchtet? Jedenfalls weniger vor islamistischen Kräften, als vor einer ewigen Despotie und einer zerschlagenen Linken.
Manch einer sieht ihn dabei allerdings in die selbe Falle treten, die auch Foucault einst erwischte. Er hatte die iranische Revolution 1978/79 anfangs leidenschaftlich bejubelt, bis plötzlich unter Khomeini die islamistischen Kräfte die Macht übernahmen.
Diese Gefahr mag nicht vollkommen unbegründet sein, Žižek aber will der Freiheit eine Chance geben. Schon alleine, weil der Westen immer Demokratie gepredigt habe nun aber ängstlich bremse, wenn es darum gehe eine Diktatur zu stürzen.
So viel zum Lacan-Jünger.
Auf gänzlich anderem Posten steht Michael Stürmer von der Welt (den Substantivdreher spare ich mir ausnahmsweise), der die Dinge unter dem Titel Israel muss die arabischen Revolutionen fürchten selbstverständlich gänzlich anders sieht.
Stürmer fragt...
Wird Obama den Fehler wiederholen, den vor drei Jahrzehnten Carter machte, als er den Schah fallen ließ im Namen der Demokratie?...und wenn er nun mir Rede und Antwort stehen müsste, würde ich vermutlich mit einer Gegenfrage antworten: Wann, ab welchem Zeitpunkt ist es dann überhaupt richtig, einen Diktator fallenzulassen im Namen der Demokratie? Wie viel Jahre muss Blut fließen und wie lange muss Angst den Alltag bestimmen?
Zugegeben, das waren jetzt drei Gegenfragen aber sie sind meiner Meinung nach durchaus gerechtfertigt. Hat Israel mehr Rechte in Frieden zu leben, als Ägypten, Tunesien oder Saudi-Arabien? Hat ein Israeli mehr Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit als ein Araber?
In Israel und den besetzten Gebieten ist diese Frage freilich längst beantwortet, doch gilt dieser Zustand nun auch für die anderen arabischen Länder?
Bis vor einem Monat wurde diese Frage weg erklärt mit der Argumentation, dass die Araber doch so wie so kein Interesse an Demokratie hätten, aber was nun? Möglicherweise ist Israel bald nicht mehr die einzige Demokratie im Nahen Osten und damit schwindet auch die Argumentation, Israel habe als einzige Demokratie unsere ganz besondere Unterstützung verdient.
Um nochmals an das Zitat von Thiess anzuschließen; Stürmer fürchtet eine Gefährdung Israels und tritt daher für eine dauerhafte Gefährdung der arabischen Bevölkerungen ein, wie wir sie gerade in Ägypten mit all ihrer brutalen Gewalt vor Augen haben. Damit Israel seine Ruhe hat, muss die arabische Bevölkerung von Diktatoren geknebelt werden.
Was sich daraus ergibt mag nicht jedem sofort ins Auge springen. All diese jungen Araber, die unter Diktatoren aufwachsen müssen, ohne einen Hauch von Hoffnung einmal die Geschicke ihres Landes selbst in die Hand nehmen zu können werden immer daran erinnert werden, dass es direkt oder indirekt an Israel liegt, dass sie in dieser Situation sind. Damit Israel sicher ist, müssen sie selbst unter einer Diktatur leben.
Und im Westen beklagt man sich darüber, dass der Frieden zwischen den beiden Ländern eben immer noch ein "kalter" sei und Songs wie Ana bakrah Isra'il ("Ich hasse Israel") aus vielen arabischen Taxis röhren. Taxis, von jungen Akademikern gefahren, weil es sonst keine Jobs gibt für sie.
Soll die arabische Jugend so aufwachsen? Immer mit dem Denken im Hinterkopf, dass ihre miserable Situation zu großen Teilen an Israel liegt.
Žižek oder Stürmer?
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