al-Samidoun

Kommentare und Berichte zu Politik, Religion und Kultur mit Fokus auf den Nahen Osten.

Freitag, 17. Dezember 2010

Parallelen zwischen Antisemitismus und Muslimhass

Seit gestern lese ich kreuz und quer durch das Buch "Studien zum autoritären Charakter" von Theodor W. Adorno.
In dieser Arbeit versucht Adorno mit teils psychoanalytischen Methoden nachzuweisen, "dass die Anfälligkeit für faschistische Propaganda weniger mit politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vorstellungen per se zusammenhängen, sondern dass solche Meinungen als Reaktionen auf psychische Bedürfnisse zu verstehen, Ausdruck einer bestimmten, der autoritätsgebundenen Charakterstruktur seien.“ (Aus dem Vorwort von Ludwig von Freiberger)
In diesem Rahmen untersucht Adorno auch den engen Zusammenhang zwischen antisemitischen Vorstellungen und faschistischen Tendenzen.
Im Buch werden immer wieder verschiedene Zitate kommentiert, die von US-Amerikanern der weißen Mittelschicht stammen, welche für die Studie befragt wurden.

Die dabei geäußerten antisemitischen Ausfälle ähneln teilweise erstaunlich den Äußerungen über Muslime, die in letzter Zeit so populär geworden sind.
Zu diesem Schluss kam ich jedenfalls, als ich heute die Welt las.

Konkret ging es um den Kommentarbereich zum Artikel "Katar kündigt Milliardeninvestition in Deutschland an".
Dazu ein paar Zitate*:
„Der Ausverkauf in Europa an arabischen Staaten geht immer weiter. Dieses ist gut ablesbar an der Hofierung des Islam. Was diese Idiologie sich in Europa erlauben kann, ist schier unglaublich.Die Strippen werden in Saudi Arabien gezogen. Unsere Politiker sind nur noch Marionetten, die alles dafür tun, dass das arabische Geld in Europa bleibt und nicht abgezogen wird. Das wäre nämlich der wirtschaftliche Untergang.“

Interessant ist hier die unterstellte finanzielle Ausbeutung von Nichtmuslimen durch Muslime. Kannte man solche Verschwörungstheorien vorher vor allem auf das Judentum bezogen ("Finanzjudentum"), scheint der Vorwurf auch mit den Muslimen zu funktionieren.
„Unsere“ Politiker seien gesteuert von dieser islamischen Macht in Saudi-Arabien. Saudi-Arabien wird von vielen gerne, so falsch es auch ist, als „Zentrum“ des Islams gesehen. (Nach der selben Logik müsste heute das Zentrum des Christentums in Israel oder Palästina liegen.)
Dass viele überhaupt ein „Zentrum des Islams“ annehmen zeigt wie stark bei jenen die Vorstellung ist, dass es eine Art "Schaltzentrale" gäbe, die die Muslime auf der Erde befehlige.


Ein anderer User stellt fest:

„Es sind die hier lebenden Muslime, die das zentrale und ursächlichste Problem unserer Epoche darstellen. Hier muss was geschehen. Ohne einen klaren Stop von Immigration UND Asyl aus muslimischen Ländern und ohne Ausschlaffung von kriminellen und schmarotzenden Ausländern werden sich die vorhandenen Probleme drastisch zuspitzen.“

Dieser Beitrag fiel mir vor allem deshalb auf, weil Adorno in seiner Analyse explizit auf die „Problem“- Formulierung eingeht.

"Während der Anschein der Objektivität gewahrt bleibt, wird stillschweigend unterstellt, dass die Juden das Problem sind, und zwar ein Problem für die übrige Gesellschaft. Es ist nur ein Schritt von diesem Standpunkt zu der Ansicht, dass dieses Problem – seinen eigenen speziellen Erfordernissen, also der problematischen Natur der Juden gemäß – behandelt werden muss, und dass dies selbstverständlich die Grenzen demokratischen Verfahrens überschreiten wird. Überdies verlangt das „Problem“ nach einer Lösung, und sobald die Juden selbst als dieses Problem abgestempelt sind, werden sie zu Objekten, nicht nur für „Richter“ mit höheren Einsichten, sondern auch für die Vollzieher einer Aktion. Ohne noch Subjekte in ihnen zu sehen, behandelt man sie wie Elemente einer mathematischen Gleichung. Nach einer „Lösung des jüdischen Problems“ rufen, heißt schließlich, die Juden zum manipulierbaren „Material“ zu erniedrigen.“

Die Parallelen zwischen dem angeblichen "jüdischen Problem" und dem angeblichen "muslimischen Problem" sind deutlich erkennbar.

Ähnlich wie den Juden häufig vorgeworfen wurde, nämlich dass sie heimlich die Mehrheitsgesellschaft unterwandern würden, wird dieser Vorwurf heute oft gegen Muslime vorgebracht. Unter den Befragten der "Faschismus-Studie" gibt beispielsweise eine Frau an, dass der Einfluss der Juden zunehme und sie daher sehr aufgebracht sei über die „Infiltration“ von Juden. Ein anderer Befragter äußert:

„Praktisch übernehmen die Juden das Land. Sie kommen überall rein. Nicht dass sie gerissener wären, aber sie tun alles, um die Oberhand zu gewinnen. Sie sind alle gleich.“

Im Kommentarbereich der Welt heißt es in Bezug auf die Muslime:

„In 20 Jahren können wird dann sowas ähnliches wie die IRA gründen, und versuchen das abgespaltene, islamische, Norddeutschland wieder unter Deutsche Kontrolle zu bringen. Weil wir uns jetzt nicht gegen die Invasoren wehren!“

Abgesehen vom skurilen Vergleich findet man auch hier das der Infiltration strukturell ähnlich Szenario einer „Invasion“. Der Vorwurf funktioniert dabei völlig unabhängig von den tatsächlichen Einwanderungszahlen, die zumindest auf Deutschland bezogen in den letzten Jahren eher geschrumpft sind.
Die Investition durch Menschen aus dem Golfstaat wird außerdem als feindlicher Akt gewertet.

„Egal wieviel die Araber zahlen, für mich ist der Aufkauf durch Muslime immer eine feindliche Übernahme.“

Auffällig ist hier, dass die Begriffe "Araber" und "Muslime" als Synonyme verwendet werden. Eine Investition Qatars wird also in erster Linie als "muslimische" Handlung wahrgenommen. Die Araber handeln demnach grundsätzlich "muslimisch" egal was sie tun. Wie am ersten Zitat zu sehen, werden diese Handlungen oft als planmäßig und gesteuert betrachtet.
Als "Endziel" wird meist eine Islamisierung Europas, des Westens oder auch der ganzen Welt gesehen.

„Unsere Abhängigkeit von islamischen Staaten wird hiermit noch mehr vergrößert. Dies ist einer der weiteren Schritte zu einem islamischen Gottesstaat Germanistan. Es soll sich niemand einbilden, dass die islamischen Staaten das aus einer freundlichen Gesinnung zu der deutschen Bevölkerung betreiben.“

Eine wirtschaftliche Beteiligung Qatars vollzieht sich nach dieser Sicht im Rahmen einer gezielten Strategie die Welt zu islamisieren und zu übernehmen.

Ein weiterer User dehnt den Rahmen der „Feindvölker“ aus. Interessanterweise nennt er hier die Angehörigen einer Religion in einer Reihe mit den Bevölkerungen von Nationalstaaten. Auffällig ist die völkische Argumentationsweise.

„Wir Deutschen werden immer mehr (oder sind es bereits) die Sklaven von Moslems, Chinesen oder Indern. Unser Volk hat vollständig seinen Stolz, seine Ehre und sein kulturelles Erbe verloren. Dazu lassen unsere Politiker noch den ungehinderten Zuzug von muslimischen Migranten zu, die weiterhin unser Sozialsystem aushölen und die Kriminalstatistiken in ungeahnte Höhen treiben."

Man darf den sich stetig entwickelnden Hass auf Muslime auf keinen Fall unterschätzen. Zumal solche Aussagen, wie ich sie hier zitiert habe auch vermehrt außerhalb des anonymen Internets geäußert werden. Seit der Sarrazin-Debatte scheinen da einige Dämme gebrochen zu sein.

Selbstverständlich hatte der Antisemitismus in der Geschichte unvergleichbare Folgen aber zumindest strukturell gibt es durchaus Parallelen zwischen Antisemitismus und Muslimhass.
Zugegeben, mit Micha Brumlik stimme ich äußerst selten überein, hier jedoch hat er Recht:

"Für eine Strukturidentität von Antisemitismus des späten Kaiserreichs und heutiger Islamophobie, für semantische Überschneidungen in den Äußerungen Treitschkes und Sarrazins und auch Helmut Schmidts liegen so viele Indizien vor, dass eine vergleichende wissenschaftliche Konferenz, wie sie Benz organisiert hat, nicht nur zulässig, sondern geradezu geboten war."

Die, die sich über solche Vergleiche pikieren, sind übrigens meist genau die, die selbst anti-muslimische Ressentiments hegen.
Es bleibt zu hoffen, dass sich die Politiker in Europa ihrer Verantwortung bewusst werden und statt die Debatte mit rassistischen Äußerungen zu befeuern, endlich geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen.



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(Ich sehe den Begriff "Islamophobie" kritisch und versuche ihn deswegen nicht zu verwenden. Stattdessen halte ich den Begriff "Muslimhass" für treffender, auch wenn ich mit diesem ebenfalls etwas unzufrieden bin.)

*Die Zitate sind von mir buchstabengetreu aus dem Kommentarbereich der Welt übernommen worden. Ich habe mir jedoch erlaubt die besonders relevanten Stellen fett zu markieren.

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