»The Lancet« kam jedenfalls zu dem Schluß, daß mehr als 650.000 Menschen heute noch leben könnten, hätte der Westen den Krieg unterlassen. Stimmen diese Annahmen, dann hat der Krieg die Bevölkerung des Irak um 2,5 Prozent dezimiert.
Solche Zahlen dürften zynische deutsche Neocons wie den Osten-Sacken dagegen kaum beeindrucken. Er schwärmte ganz unkritisch von der Inspiration der Neocons und trauert ihnen in Post-Bush Zeiten wehmütig hinterher:
Während ihre erklärten Gegner - sowohl in den USA als auch Europa- in den Jahren nach 9/11 keine einzige eigene Idee entwickelten, was mit dem in Stagnation darniederliegenden Nahen Osten geschehen sollte und ihm deshalb “more of the same” verordneten, mögen die strategischen Überlegungen der Neocons abenteurlich geklungen haben. Die Ereignisse aber geben ihnen Recht. Ach, wenn es nach ihnen gegangen wäre, das nur so zur Erinnerung, dann hätten sowohl in Syrien wie dem Iran längst Regime Changes stattgefunden.Wenn man sich aber den Irak anschaut wie er heute aussieht und was er in der langen Kriegs- und Bürgerkriegsphase durchleben musste, dann kann kein Mensch von Verstand solche Lobeshymnen anstimmen.
Diese verschobene Wahrnehmung hängt vielleicht damit zusammen, dass seit dem Abzug der US-Truppen westliche Medien kaum noch die täglichen Gewalttaten im Irak melden, während die arabischen Zeitungen hingegen regelmäßig von Anschlägen und Attentaten berichten.
Der "Regime change" wird dennoch von Leuten wie dem Osten-Sacken gefeiert, ungeachtet der Tatsache, dass sich der Krieg zwar nicht ausschließlich durch, aber doch auch als Resultat der US-Politik zu einem Flächenbrand entwickelte und den Irak in einen grausamen Bürgerkrieg zog. Desaströs wirkten sich die Analysen der Neocons aus, die die Baʿth-Partei kurzerhand für ein rein sunnitisches Projekt erklärten, dadurch Öl ins Feuer der konfessionellen Spannungen gossen und das Land an den Linien von (tatsächlichen oder zugewiesenen) Glaubensbekenntnissen spalteten.
Ich betrachte den Irak-Krieg nicht einseitig als richtig oder falsch und behaupte auch nicht, der US-Regierung sei es um das Öl gegangen, aber es zeugt von unglaublicher Arroganz, wenn nun Deutsche vollkommen unkritisch den Krieg im Irak - den sie euphemistisch "Regime change" nennen, so als ob es nur das gewesen wäre - bejubeln und als vollen Erfolg abfeiern.
Kürzlich sprach ich mit einem Iraker aus schiitisch-sunnitischem Elternhaus. Er selbst war wenig religiös, sah sich jedoch als Schiit. Auch seine Familie hatte unter Saddam leiden müssen aber dennoch beklagte er sich über die katastrophalen Auswirkungen des Krieges. Plötzlich sei es wichtig, ja sogar lebenswichtig geworden der richtigen Konfession anzugehören. Interkonfessionelle Ehen wurden undenkbar. Die desolate Sicherheitslage trieb schließlich diejenigen aus dem Land, die sich eine Flucht leisten konnten. Am Ende trauerte er, der sich als Schiit betrachtete, dem Irak unter Saddam Hussein hinterher.
Was die betroffenen Iraker denken mag deutschen Neocons egal sein. Der Herrschaft Saddam Husseins hinterherzutrauern ist sicherlich auch kein fortschrittlicher Akt. Aber man kann festhalten, dass nun einmal viele Iraker die "abenteuerlichen strategischen Überlegungen" der Neocons nicht ganz so euphorisch sehen wie deutsche Neocons. Dies zeigt auch ein Bild, das unter Irakern auf Facebook zirkulierte.
Ja, es ist gut dass Saddam weg ist. Daraus folgt aber noch lange nicht, dass der gesamte Krieg ein voller Erfolg war, auf dessen Nachahmung in Syrien und Iran nun die kriegsgeilste Fraktion der deutschen Linken drängt.
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