Hinter der Aufregung über ein symbolisch aufgeladenes Stück Stoff, das islamische Kopftuch, steckt über die manifesten Einwände hinaus eine tief verwurzelte Angst vor der Überfremdung unserer Gesellschaft, eine Überfremdung, die sich für so manchen von der Xenophobie Heimgesuchten in einem unschuldigen Textil verdichtet. Kraft einer mysteriösen „Transsubstantiation“ soll in jenem Stück Stoff der Ungeist des Fundamentalismus und der Diskriminierung der Frau unmittelbar gegenwärtig sein.Textilfetischismus? Der Ungeist des Fundamentalismus und der Diskriminierung der Frau unmittelbar in einem Stück Stoff gegenwärtig, fast so, als sei das Kopftuch selbst ein lebendiges und handelndes Wesen?
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So dient das Kopftuch zwar radikalen Strömungen des Islam, um ihre Gesinnung auszudrücken, aber nicht jeder, der das Kopftuch trägt, ist Fundamentalist. Das Gleiche lässt sich auch für das christliche Kreuz behaupten. Christliche Fundamentalisten bedienen sich des Kreuzes als Glaubenssymbol, aber längst nicht jeder, der das Kreuz trägt, ist deshalb christlicher Fundamentalist.
Dem entspricht ja auch die Tatsache, dass heute auch junge, emanzipierte muslimische Frauen das Tuch tragen, das in diesem Sinn keineswegs Ausdruck der präsumtiven Unterdrückung der Frau ist.
Entscheidend ist also nicht das Kopftuch, sondern das Verhalten der Trägerin. Das Textil begründet keineswegs hinreichend die Annahme einer verfassungswidrigen Gesinnung der Trägerin. Die Vertreter einer so begründeten Ablehnung laufen Gefahr, einem negativen Textilfetischismus zu verfallen. An die Stelle der zu Recht bekämpften Gesinnung tritt ein Stück Stoff.*
Erstaunlich was "das Kopftuch dieser Kübra" so alles fertig bringt.
*Anselm Vogt, Zwischen Beliebigkeit und Fundamentalismus, Oberhausen, 2007, S.86f.